Die Frau in mir - ein Mann wagt ein Experiment by Seidel Christian

Die Frau in mir - ein Mann wagt ein Experiment by Seidel Christian

Autor:Seidel, Christian [Seidel, Christian]
Die sprache: deu
Format: epub
Herausgeber: Heyne
veröffentlicht: 2013-11-20T23:00:00+00:00


13

Die Liebe ist kein Christbaum

Am nächsten Tag kam Maria von einer ihrer Geschäftsreisen zurück. Ich war noch ganz beseelt vom vergangenen Abend und erzählte ihr davon. Zunächst war sie interessiert, wollte wissen, wie ich ausgesehen hatte, und ich zeigte es ihr. Doch als ich dann so vor ihr stand, stolz, in Frauenkleidern, mit Brüsten und geschminkt, rief sie: »Das ist mir zu viel!«

»Das? Was denn, nur wegen dem Zeug?«, platzte es laut aus mir heraus. Meine gute Laune war verflogen. »Und ich? Was ist mit mir, siehst du nur die Kleidung?«

»Ich halte das nicht aus«, rief Maria lauter. »Ich habe Angst, dich zu verlieren. Du lebst in einer anderen Welt, es ist nicht mehr unsere gemeinsame.«

Ich war wie vom Donner gerührt. Erschrocken. Entsetzt.

»Wir müssen doch nicht alles miteinander machen. Das haben wir vorher doch auch nicht getan«, erwiderte ich, ein wenig zu spontan.

»Du liebst mich wirklich nicht mehr!«, antwortete sie. Jetzt konnte sie ihre Tränen nicht mehr zurückhalten. »Du versuchst auf diese Weise aus unserer Beziehung auszubrechen! Sei doch ehrlich, sag mir, was dich bewegt, willst du lieber eine Frau sein?«

»Nein, Liebling, wirklich, ich liebe dich. Ich bin noch immer gern ein Mann. Ich fühle mich wohl als Mann. Mir macht das nur so viel Freude. Komm …« Ich wollte ihr einen Kuss geben, doch sie stieß mich von sich.

»Ich bin nicht lesbisch!«, schrie sie.

Erschrocken ging ich ins Bad. Ich drehte das heiße Wasser auf, rieb mir Seife ins Gesicht. Von panischer Angst gepackt, Maria zu verlieren, riss ich alles von mir. Dass sie so weinte, schmerzte mich sehr. Als ich wenig später wieder wie Christian aussah, ließ sie sich von mir in den Arm nehmen.

»Ich mache das nur so weit, wie es unserer Beziehung nicht schadet«, versprach ich.

»Aber warum musst du das überhaupt so extrem gestalten? Willst du dich selbst zerstören – und auch uns?«

»Wirklich nicht. Ich habe nicht die geringsten selbstzerstörerischen Ambitionen. Ich will leben, frei sein, mich ausdrücken können, so sein können, wie mir gerade zumute ist, ohne vorher überlegen zu müssen, ob das passt oder nicht.«

Maria und ich sprachen die Nacht hindurch. Wir tranken einen sehr guten Rotwein. Sie rauchte ihre Zigaretten. Und ich steckte mir seit Langem wieder einmal eine Zigarre an. Es tat gut, endlich offen mit ihr sprechen zu können. Über alles. Später lagen wir uns in den Armen.

»Mach alles, was für dich wichtig ist«, flüsterte sie mir kurz vor dem Einschlafen zu. »Ich will nicht, dass du dein Leben wegen mir einschränkst.«

»Aber ich will auch nicht, dass du dadurch unglücklich wirst.«

»Das werde ich nicht. Ich liebe dich doch. Das ist das Wichtigste. Solange ich mit dir über alles reden kann, ist es in Ordnung, sogar besser, als wenn du es nicht tun würdest.«

Maria war so eine wunderbare Frau. Und ich konnte ihre Sorgen verstehen. Würde ich ihr Mann bleiben? Würde ich derselbe Mann bleiben, den sie geheiratet hatte? Was an mir war überhaupt noch Mann und was nicht mehr, welche Teile meines Mannseins wurden von den Frauenkleidern hinweggeschwemmt?

Die ersten Erinnerungen, die mir zum Thema Mannsein einfielen, stammten aus meiner Zeit als Ministrant.



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